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Die Bistumsstadt Münster galt von jeher als tiefkatholische Stadt. Die überwiegende Mehrheit der Münsteraner Bevölkerung gehörte in den 1970er Jahren der katholischen Konfession an. Zudem war durch die große Präsenz der Kirche in Politik und Gesellschaft in Münster jede*r Bürger*in unweigerlich aufgefordert, eine Haltung zu ihr zu beziehen.
Insbesondere die katholische Morallehre wirkte polarisierend. Große Diskussionen entfachte die sogenannte Pillen-Enzyklika im Jahre 1968, die vor allem auf die heterosexuelle Bevölkerung einschränkend wirkte. Die dezidierte Ablehnung und Abwertung von homosexuellen Lebensweisen durch das kirchliche Lehramt und die (katholische) Bevölkerung bedeutete für queere Menschen enorme Schwierigkeiten. Vor allem erschwerten sie die Selbstakzeptanz. Es erforderte viel Mut, sich zu seiner eigenen Sexualität zu bekennen und für die Sichtbarkeit queerer Menschen inner- und außerhalb der Kirche einzusetzen.

„[Es] geht nicht an, die Homophilen in ihrer Eigenart zu bestärken oder gar die sexuelle Betätigung unter gleichgeschlechtlichen Partnern gutzuheißen.“
— Heinrich Tenhumberg (Bischof von Münster, 1969–1979) über Homosexuelle.

1975: Persona Humana
„Sie [homosexuelle Personen] werden in der Heiligen Schrift als schwere Verirrungen verurteilt [und] als die traurige Folge einer Zurückweisung Gottes dargestellt.“

1992: Einige Anmerkungen zur gesetzlichen Nicht-Diskriminierung homosexueller Personen
„Abgesehen von den anderen Rechten haben alle Menschen das Recht auf Arbeit, auf Wohnung usw. Doch nichtsdestoweniger sind dies keine absoluten Rechte. Sie können aufgrund eines Verhaltens, das objektiv als ungeordnet zu bezeichnen ist, zu Recht eingeschränkt werden.“

2002: Amtsblatt
„Das ‚Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften vom 16.02.2001‘ widerspricht den Auffassungen über Ehe und Familie, wie sie die katholische Kirche lehrt.“

2022: Eine Reaktion auf #OutInChurch von Münsters Bischof Felix Genn
„Viele homosexuelle Menschen wurden über Jahre und Jahrzehnte durch Äußerungen der Kirche verletzt. Das darf heute und in Zukunft nicht mehr so sein. Jede Person – völlig unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtliche Identität – ist unbedingt von Gott geliebt.“

Bereits in der Frühphase der Homosexuellenbewegung gründeten engagierte Lesben und Schwule 1978 die Ökumenische Arbeitsgruppe „Homosexualität und Kirche“ (HuK). 1982 bildete sich auch in Münster eine bis heute aktive regionale Untergruppe der HuK. Hier treffen christliche Männer und Frauen zusammen, um ihre eigene Homosexualität auch in der Kirche zum Thema zu machen. Sie unterstützen sich in ihren Sorgen und in ihrem Engagement gegen eine Diskriminierung queerer Menschen in den beiden christlichen Kirchen.

„Lesben und Schwule finden in ihrem Leben und ihren Beziehungen Erfüllung und Glück. Auch wenn sich diese Realität … kirchlichen Beamten entzieht, ist sie nicht weniger authentisch.“
— Flyer der HuK aus dem Jahr 2004

10 Gebote der HuK, warum Kirche und Homosexualität miteinander vereinbar sind:

  1. Jesus ist auch für Schwule ans Kreuz gegangen.
  2. Jesu Botschaft von der Liebe Gottes zu allen Menschen sollte Vorurteile gegen Schwule abbauen.
  3. Landesbischof Lohse: „Wir haben gelernt, dass wir Menschen wegen ihrer Homosexualität nicht diskriminieren dürfen. Sie müssen einen Platz in der Gesellschaft und in der Kirche haben.“
  4. Die Kirche predigt die Liebe und fordert das Zölibat für homosexuelle Mitarbeiter.
  5. Die Kirche predigt Liebe und fordert die Auflösung gewachsener Partnerschaften.
  6. Homosexuelle und heterosexuelle Liebe sind von gleicher Qualität.
  7. Homosexualität und Heterosexualität sind Ausdrucksformen der einen menschlichen Sexualität.
  8. Sexualität ist mehr als Fortpflanzung: Sexualität ist Körpersprache. Sexualität ist Zärtlichkeit …
  9. Keiner kann die Form seiner Sexualität frei wählen. Er findet sich als Homosexueller oder Heterosexueller vor.
  10. Die Kirche sollte homosexuellen wie heterosexuellen Menschen sagen: eure Sexualität ist euch von Gott gegeben.

1999 initiierte die AG Schwule Theologie in Münster die Queergemeinde. Der erste Gottesdienst fand am 10. Januar 1999 in der Sebastian-Kirche statt und von da an jeden 2. Sonntag im Monat. Bis zu 100 Menschen aus Münster und umliegenden Städten nahmen an den Gottesdiensten in den ersten Jahren teil.

Das Konzept beinhaltet: „Lebenssituationen von ‚Queers‘ unter der Perspektive des Glaubens zu deuten und zu verbinden, um so eine ganzheitliche Entfaltung der menschlichen Person in all ihren Aspekten zu fördern.“ Es gilt: eine „Verbindung von Leben und Glauben“ zu schaffen.

Erinnerungen und Gedanken von Mitgliedern der Queergemeinde
„Wir haben mit unserer Queergemeinde Anfang 1999 den ersten Queergottesdienst in St. Sebastian gehalten. Wir haben erstmal gedacht, wir gehen in die Werktagskapelle, da hätten vielleicht so 20—30 Leute Platz gehabt. Wir waren dann beim ersten Gottesdienst über 90 Leute. Und das war wirklich eine unglaubliche Erfahrung. Also zu erleben, wie groß das Bedürfnis ist, miteinander Gottesdienst zu feiern, und zwar in diesem Rahmen.“

„Nachdem die ersten Gottesdienste stattfanden, wurde die Kirchenzeitung auf uns aufmerksam und es entstand 2000 ein Artikel. Dieser Artikel wurde offensichtlich – wie soll ich sagen – weitergereicht an entsprechende Stellen in Rom. In der Anfangsphase, in der wir eigentlich sehr euphorisch waren, knickte das plötzlich ein, weil wir unter Beschuss kamen. Es gab ein Treffen mit dem damaligen Weihbischof Ostermann, und dieses Gespräch war geprägt von einerseits Wertschätzung, auf der anderen Seite aber auch mit der Aussage: ‚Das können Sie nicht machen!‘“

„Wie ist das Verhältnis zwischen ‚Es ist wichtig, dass man untereinander den Gottesdienst feiert, mit eindeutigen Identifikationsmerkmalen und Hintergründen wie ‚Queer‘, ‚kämpferisch‘ oder ‚bunt‘ und auf der anderen Seite: ‚wie ist das eigentlich mit der Integration in normale Gemeinden?‘ Kann man als Queergottesdienst in einem Gemeindegottesdienst aufgehen, oder braucht es das Besondere? Diese Frage ist noch offen.“

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